Ein Gastbeitrag von Geragogin Ilse Zembaty, M.Ed.
Alter gut, alles gut…
Heute werden Menschen gut und gern achtzig, immer öfter auch neunzig oder noch älter, lassen aber mit circa sechzig Jahren ein aktives (Berufs)leben hinter sich. Die verbleibenden zwanzig oder dreißig Jahre werden in die Lebensplanung nicht integriert. Das „Alter“ ist gesichtslos, ohne richtiges Bewusstsein, vergeht ohne wirkliche Planung, also „irgendwie“.
Das kann nicht wirklich befriedigend sein! Diese Zeit ist kostbar und verdient es, mit Ereignissen, Erlebnissen, ja sogar Abenteuern ausgefüllt zu werden. Nur mit sechzig ist es meist zu spät, mit dem Planen anzufangen. Damit sollte man bereits in der Jugend, spätestens in den mittleren Jahren, beginnen. Dann wird das „Alter“ zu einer bunten, erfüllenden Periode abseits von Krankheit, persönlichem Leid und Einsamkeit.
Also nichts wie raus aus der Altersfalle! Freiheit beginnt im Kopf. Es ist erstaunlich, wie viel unser Gehirn zu leisten vermag, wenn wir es zu stimulieren verstehen, indem wir unser Selbstbewusstsein stärken. Ja, wir können viel mehr als uns andere und oft auch wir selbst uns zutrauen.
Keine Frage, dass unser Leben irgendwann einmal zu Ende geht – aber wir sollten es nicht gebrechlich und resignierend verlassen, sondern lebensmüde und auf die Segnungen eines ewigen Schlafs vertrauend. Solange aber es noch nicht so weit ist, sollten wir fröhlich den Tag genießen und uns in ihm aktiv bewegen. Auch im Alter – oder gerade dann – gibt es noch viel zu lernen. In der Hektik des Alltags der mittleren Jahre haben wir das Lernen nur allzu oft versäumt. Jetzt aber mit sechzig oder siebzig haben wir Zeit und Muße uns interessanten, aber versäumten Dingen zu widmen.
Wir sollten niemals die Errungenschaften unseres sozialen Lebens vergessen: Die meisten von uns haben keine materiellen Sorgen mehr, Rente und Pension sorgen für ein vielleicht bescheidenes, aber sicheres Auskommen. Wann jemals hatten wir so viel Freizeit!? Diese dürfen wir nicht als Langeweile empfinden, sondern sollten sie für ein glückliches Leben nützen.
Wann aber ist ein Leben glücklich? Wenn wir die Welt neu entdecken? In ferne Länder reisen? Außergewöhnliche Erlebnisse haben? Neue und interessante Menschen kennenlernen? Umsorgt und geliebt werden? Schon auch – aber all das ist wohl nicht der Schlüssel zu persönlichem Glück. Viel wichtiger aber sind Selbstbewusstsein und der Wille, bis zum letzten Augenblick wenigstens noch ein Quäntchen Selbstbestimmung und damit Aktivität zu besitzen.
Und noch etwas: Persönliches Lernen hört nie auf. Dies bedeutet nicht, hauptsächlich Fertigkeiten, die im Alltag nützlich sein können, zu vervollkommnen – sondern sich vor allem anderen gegenüber zu öffnen, sie zu unterstützen, ihnen zu helfen. Meist wird das ja in der Familie sowieso ganz selbstverständlich getan. Großmutter und Großvater geben auf die Enkel Acht, bringen sie in die Schule, lernen mit ihnen, während die Eltern ihrem Beruf nachgehen. Das ist oft notwendig und auch wichtig – aber es sollte nicht das gesamte Leben der älteren Generation ausfüllen. Eines Tages sind die Kinder größer und brauchen uns nicht mehr – wir aber haben unsere Selbstbestimmung verloren, wenn wir allzu sehr in einer bereits der Vergangenheit angehörenden Elternrolle aufgehen.
Was also ist ab sechzig, siebzig zu lernen? Ganz einfach: bessere Kommunikation mit den Menschen rund um uns herum, aber auch Abgrenzung zu ihnen und Konzentration auf uns selbst. Denn es sind wir, die mitten in unserem Leben stehen, um es so zu gestalten, dass wir – wie eingangs erwähnt – in vollem Bewusstsein lebensmüde werden. Alles erlebt haben, was für uns wichtig war, aber auch ohne Resignation auf das zurückblicken, was wir nicht erreicht haben. Eine Plus-Minus Bilanz also, die wir gütig zu uns selbst akzeptieren und in verklärendem Licht sehen.
„Vital altern“ wird uns heute noch nicht immer leicht gemacht. Vor allem gibt es zu wenige „öffentliche“ Anregungen dazu, zu wenige Projekte, in die Ältere eingebunden werden, zu wenig Kommunikation mit Gleichgesinnten und zu wenig gemeinsames „Altersleben“. Wir sind also Pioniere auf diesem Gebiet, die auch erforschen, was alles im Alter noch geht und wie das Alter befriedigend gestaltet werden kann. Also viele Wege, die nicht nur nach Rom, sondern vor allem zu uns selbst führen.